Die Weimarer Republik war also der Namensgeber für eines der wohl schönsten Kaffeehäuser Wiens.
Jetzt könnte man mir andichten, ich wäre altvaterisch, aber wenn das wirklich so ist, dann bin ich’s gern. Doch was gibt es Schöneres, wenn man nach langer Fahrt nach Wien das Auto im P+R stehen läs...Mehr anzeigenDie Weimarer Republik war also der Namensgeber für eines der wohl schönsten Kaffeehäuser Wiens.
Jetzt könnte man mir andichten, ich wäre altvaterisch, aber wenn das wirklich so ist, dann bin ich’s gern. Doch was gibt es Schöneres, wenn man nach langer Fahrt nach Wien das Auto im P+R stehen lässt, und mit Sack und Pack, leicht angefroren und hungrig einen gemütlich-wärmenden Ruhepol findet.
Genau das kam mir an jenem Abend gerade recht.
Ein Platzerl im Nichtraucher bitte! – Wo Sie wollen, der Herr. Hier ist überall Nichtraucher.
Do schau her! Beim Anblick des Interieurs wird auch schnell klar, warum der Besitzer hier eine Menge Geld investiert hat – und klugerweise kein Interesse daran hat, Tonnen von Teer in die liebevoll ausgestatteten Polstermöbel hineinwachsen zu lassen (man beachte auch die wertvollen Beiträge von leckermaeulchen und anita47!).
Beim ersten Besuch wurde ich von einem äußerst höflichen, jungen Mann bedient, der sich zuerst einmal gleich sehr umsichtig um mein sperriges Gepäck kümmerte. Die anderen Herren sind zwar korrekt, präsentieren sich aber eher von der – sagen wir mal - „sachlichen“ Seite.
Die reichhaltige Zeitungs- und Illustriertengalerie ist hier „natürlich“ Programm, samt der manchmal ein wenig unpraktischen, hölzernen Zeitungshalter, ganz nach dem Motto „rechts das Gaberl für’s Gulasch, links das Handerl für Nimmerrichters Weisheiten“.
Meine Meinung hat heute Abend Profil und so nehme ich mal Platz, das Alkoholfreie ist schnell serviert. Das Auge staunt über die Einrichtung, die dazu passende Beleuchtung und die alten Werbebilder von Hotel Panhans, dem Südbahnhotel und so manch anderer Semmering-Institution, die das Flair der „guadn oidn Zeit“ noch einmal untermauern sollen.
Demgegenüber zeigt man sich auch - wenn auch kaum sichtbar - modern: Umweltzeichen, Fairtrade und WLAN.
Doch damit nicht genug – eine etwas eigenwillige Dame erscheint auf der Bildfläche. Ja sie kommt nicht einfach rein, sie erscheint. Völlig außer Atem dampft sie in Richtung der Hinterstübchen des großen Lokals – um mit einem schweren Ordnerwagen voller Noten zurückzukommen. Sie schiebt den kaum einen halben Meter hohen Wagen emsig vor sich her, als wäre es der tonnenschwere Bücherwagen einer Bibliothek.
Vor dem Bösendorfer-Piano bleibt sie stehen und entschuldigt sich, noch immer nach Luft ringend bei einem offensichtlichen Stammgast des Hauses, für die Verspätung.
Die scheinbar gestresste Persönlichkeit nimmt am Piano Platz, um urplötzlich ganz entspannte Wiener Klänge aus dem schwarzen Instrument zu zaubern.
Und wie es sich für ein Wiener Kaffeehaus gehört, glänzt das Haus nicht nur mit seinen Kaffee- und Mehlspeisen, sondern auch mit der kleinen wie großen Wiener Küche, mittags wie abends. Vom Frühstück will ich gar nicht erst reden, das versteht sich ja fast von selbst.
Da kommt er schon, der Alt-Wiener Suppentopf mit Bergen von Wurzelgemüse, einer prächtigen Karfiolrose, Hühner- und Rindfleisch und einer Unmenge an Suppennudeln.
Das Gemüse hat der Suppe gut getan, ein sehr angenehmes, wärmendes Essen. Das Zuviel an Nudeln lässt allerdings auch einen Teil der guten Brühe wie von Zauberhand verschwinden.
Ein paar Tage später zweiter Besuch, die Dame am Piano ist wieder hier, diesmal nicht außer Atem, verwöhnt sie das Lokal wieder mit entspanntem Geklimper.
Eine Krautsuppe wird serviert. Etwas papriziert, weiches Kraut, im enormen Löwentopf. Fast ein kleines Hauptgericht. Meine Meinung: beim Kopp war sie besser.
Das Schnitzerl vom Kalb. Vom Trünkel geliefert, im Weimar paniert. Sehr gut, wie ich finde, fein-knusprige Panier, schön zart, vielleicht um einen Tic zuviel Salz, aber eine feine Sache. Dazu die separat servierten Kartoffeln ohne Fehl und Tadel.
20 Euro sind ordentlich, ich betracht’s aber als „Piano-Zuschlag inklusive“.
Der Kaffee. Gepflegt serviert am silbernen Tablett, das Löfferl ruht am Wasserglas. Kein schlechter Verlängerter, wenngleich er für meinen Geschmack etwas milder sein könnte.
Die Dame am Piano beendet ihre Vorstellung, der Stammgast neben ihr applaudiert. Meine Lektüre ist beendet, mit Sack und Pack geht’s zum Hotel um die Ecke.
Würde mich ein ausländischer Tourist nach einem „typischen Wiener Kaffeehaus“ fragen, würde ich ihn wohl unter anderem auch hierher schicken. Man findet hier wirklich das, was man von einem traditionsreichen Haus dieses Kalibers erwartet. Mit den richtigen Zutaten für die richtige Tageszeit, ohne wirkliche Schwächen zubereitet und präsentiert.
Dazu das Ambiente samt vertrauter Klänge. Sehr angenehm.
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Bezüglich Besucherdichte: Als man noch rauchen durfte, war es immer brechend voll....