Es gibt Restaurants, die lassen mich ein wenig ratlos zurück, zuletzt war’s das indische „Sreeja“ auf der Landstraßer Haupt. Heute, wieder im Dritten, diesmal in der Ungargasse Nr. 27, hatte ich das gleiche Gefühl am Weg nach Hause.
Einer privaten Einladung einiger ReTe Mittester folgend, traf...Mehr anzeigenEs gibt Restaurants, die lassen mich ein wenig ratlos zurück, zuletzt war’s das indische „Sreeja“ auf der Landstraßer Haupt. Heute, wieder im Dritten, diesmal in der Ungargasse Nr. 27, hatte ich das gleiche Gefühl am Weg nach Hause.
Einer privaten Einladung einiger ReTe Mittester folgend, trafen wir uns im Chinarestaurant Nr. 27, das Motto war, authentische Szechuan Küche zu genießen. Der Abend versprach eine angenehme Runde und kulinarisches Neuland für mich, ich gestehe, noch nie in China gewesen zu sein und meine Erfahrungen mit der chinesischen Küche beschränken sich auf die jeweils landesangepasste Variante in Österreich, einigen anderen, europäischen Ländern und den USA. Meine Erfahrung mit China-Restaurants in Wien reicht von „sehr gut“ (Sternzeichen, auch Landstraßer Haupt) bis zu „mon dieu“ (nun ja, manche andere halt), dazwischen viele mediokre Erfahrungen.
Umso mehr war ich gespannt auf das Nr. 27, zumal die Bewertungen auf ReTe durchwegs durchwachsen sind. Bei dieser Bewertung bitte ich folgendes zu berücksichtigen:
Ich habe keine Ahnung, wie Szechuan Küche schmecken soll, ich kann lediglich die Unterschiede zu den Austro-Chinesen und Pan-Asiaten beschreiben.
Als China-Virgin habe ich keine Ahnung, wie ein gemütliches Lokal dort aussieht, mein Urteil ist auch in punkto Ambiente natürlich sehr subjektiv.
À propos Ambiente: Von außen betrachtet würde ich an diesem Lokal schlicht und ergreifend vorbeigehen. Es ist nicht nur recht unscheinbar (eine große Tafel mit 27 und einigen chinesischen Schriftzeichen sind alles, was auf das Restaurant hinweist), sondern in manchen Facetten geradezu grindig im äußeren Erscheinungsbild. Es gibt zwei Schaukästen, der eine ist leer, der andere zeigt zwei etwas ältere Zeitungsausschnitte von Berichten über das Restaurant. Lesbar, wenn man durch die Staubschicht auf den Schaukästen fokussiert. In einem Fenster ist lieblos eine Speisekarte aufgestellt, das war’s dann auch schon.
Again, selbst nach Lektüre der Bewertungen hätte ich spätestens am Eingang am Absatz kehrt gemacht und wäre weitergezogen. Auf die Kompetenz des einladenden Testers vertrauend nahm ich mir aber ein Herz und betrat das Lokal.
Drinnen sieht’s schon weit besser aus, zumindest ist es in punkto Sauberkeit ein großer Kontrast. Schlicht, sehr, sehr schlicht, um nicht zu sagen kahl und steril, präsentiert sich das Restaurant, aber doch sehr gepflegt. Die Wände sind, mit Ausnahme einiger Lampen, ausnahmslos kahl, der Boden ist ein eigenartiges, folienähnliches, bambusfarbenes – äh, Laminat?, die Tische sind schlicht, ebenso die Stühle. Unser Tisch hatte eine drehbare Plattform, das war’s aber auch schon mit extravagant und so.
Mein Vortester auf ReTe hat die Speisekarten als „... so etwas von abgegriffen, dreckig, mit Flecken übersät ...“ bezeichnet, nun, ganz so schlimm hab ich es heute Abend nicht empfunden. Keine Eleganz, keine Haptik, etwas abgegriffen, aber nicht schmutzig oder unappetitlich. Zweckmäßig halt.
Ein sehr freundlicher Herr, der mich beim Eintreten begrüßt hat (ich nehme an, der Chef des Hauses), nahm meine Bestellung auf. Ein Vierterl Gelber Muskateller zu € 3,40/Achterl vom Fels/Wagram und ein Soda. Authentisch Szechuan hin oder her, ich bemängelte immer wieder, dass es in den meisten Wiener China-Restaurants erstaunlicherweise keinen g’scheiten Wein gibt (eine Ausnahme: Sternzeichen). Der Muskateller war hingegen recht gut, wenn auch nicht wirklich großartig. Aber immerhin.
Ein Wort zur Bestellung der Speisen: ich mag es gar nicht, wenn Speisen nur mit den in der Speisekarte angegebenen Kürzeln bestellt, bestätigt und serviert werden. Bei aller Freundlichkeit des Services, - ein „hier einmal das D3, da das W4, ...“ nimmt schon viel vom Genuss.
Zu den Speisen:
Als Vorspeise wählte ich Fleischtaschen in Chili-Öl, als Hauptspeise Schweinestreifen mit Bambus, Bärlauch und schwarzen Morcheln. Am Tisch wurde auch Tofu, Lamm, Reis-Crêpes mit Garnelen, 18 Schätze (irgendwo dürften beim Austro-Chinesen 10 davon verloren gegangen sein, bis dato kannte ich nur Acht Schätze), ein Melanzani-Gericht, gebratenes Lamm auf Rucola und den „signature dish“, den doppelt gebratenen Schweinebauch bestellt. Dazu natürlich Reis, und alle Gerichte wurden auf der Drehplatte platziert, jeder konnte also von allem probieren.
Meine Teigtaschen waren vorzüglich. Zarte Teigtaschen in einer Sauce aus Chiliöl und schwarzem Sesam, ein wenig Szechuanpfeffer, wirklich gut, scharf, aber (für mich) just right.
Meine Schweinefleischstreifen ebenfalls sehr zart, dünn geschnitten, mit dezenter Schärfe.
Natürlich probierte ich auch von den anderen Gerichten, das Lamm sehr zart und gut im Geschmack, für mich ein bisschen zu trocken gebraten. Puristisch, nur auf Rucola gebettet, kein Schnick-Schnack und keine Sauce.
Es gab auch kalte Rindfleischscheiben mit Kutteln als Vorspeise am Tisch, sehr gutes Rindfleisch, interessant mariniert, - zu den Kutteln kann ich nichts sagen, die verweigere ich wie rohe Tomaten.
Nudeln mit schwarzer Bohnenpaste: interessant, ebenfalls puristisch im Geschmack, die Schärfe gut balanciert.
Der doppelt gebratene Schweinebauch: man stelle sich ca. 3 mm dick geschnittene, gebratene Speckscheiben in einer recht intensiven Sauce vor. Eine ziemlich fette Geschichte, nicht knusprig, und auch geschmacklich für mich nicht der Hammer. Ich hatte mir ein knuspriges Stück Schweinebauch vorgestellt, wie man’s halt vom Grill kennt, vielleicht in Begleitung von etwas Gemüse. Gut, isst man so in Szechuan offenbar nicht.
Zum Abschluss gab’s ein Dessert, das für mich auch eine Premiere war: mit schwarzem Sesam gefüllte Teigtaschen in einer Reisschnaps (oder –wein) Sauce mit einigen, für mich unbekannten Beeren. Die Teigtaschen: deliziös, die Sauce: gewöhnungsbedürftig, ebenso die Beeren. Immerhin, nicht aufdringlich süß und nicht die gebackenen Bananen, auf die man in österreichischen Chinarestaurants nachgerade konditioniert ist.
Mein Fazit: Ratlosigkeit.
Die Küchen- und Servicecrew weiß offenbar, was sie tut. Die Gerichte kommen frisch und schnell auf den Tisch, die Produkte sind offenbar gut, die Küche ist, wurde mir bestätigt, tatsächlich authentisch.
Das Ambiente lädt nicht wirklich zum gemütlichen Sitzenbleiben ein, die Fassade/Außengestaltung eher zum Weglaufen. Das Lokal war beinahe voll, Mundpropaganda und das Wissen einiger Eingeweihter, dass man hier gut und authentisch essen kann, scheinen auch an einem Mittwoch Abend zu reichen.
Will der Wirt hier nicht mehr Gäste? Wenn ihm die Insider-Szechuan-Clientèle reicht, warum verbreitert er sich dann in der Speisekarte auch auf Südasien? Warum, wenn’s wirklich authentisch sein soll, und der Koch auch offenbar gut mit den Produkten umzugehen weiß, verwendet er TK/Industrie Dim Sums? Warum, wenn er (zu Recht) auf seine Küche stolz ist, verschreckt der Wirt Gäste mit einem dem Gesamterlebnis und der Küche nicht gerecht werdenden, grindigen Außenbereich?
Fragen über Fragen. Preislich bewegt sich das 27 im unteren Bereich, die Speisen variieren zwischen 5 und 15 €. Ich würde den Innenraum etwas ansprechender und eleganter gestalten (kein Kitsch, don’t get me wrong), den Eingangsbereich außen etwas überarbeiten und die Karte ein wenig verkleinern. Ich glaube durchaus, dass so mancher Wiener und Nicht-Kenner der authentischen Szechuan Küche hier seine Freude haben könnte, genau diese Nicht-Kenner lässt der Wirt hier zur Zeit außen vor, denn, allein durch das grindige Außenbild und die mangelnde Gemütlichkeit und/oder Eleganz kommt wohl kaum jemand ohne Empfehlung auf die Idee, das 27 zu besuchen.
Werde ich wiederkommen? Ich denke, schon. Aber nur wegen der interessanten Küche, dem Geschmack, der doch so anders ist als in den vielen Chinarestaurants. Vielleicht noch wegen des freundlichen Chefs, sicher aber nicht wegen des Ambientes.
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