am 27. August 2022 · Update 1. Sep 2022
SpeisenAmbienteServiceAlte Welt – Neue Welt
Tatort Multikulti-Hotspot der Stadt Wien unweit der Eislegende am Reumannplatz Nur ein Haus weiter fristet eine weitere Institution ihr langjähriges Dasein namens: „Zum Alten Beisl“ Aber nicht alles, nur weil es alt ist, ist deswegen auch gut, wie auch alles Neue nicht z...Mehr anzeigenAlte Welt – Neue Welt
Tatort Multikulti-Hotspot der Stadt Wien unweit der Eislegende am Reumannplatz Nur ein Haus weiter fristet eine weitere Institution ihr langjähriges Dasein namens: „Zum Alten Beisl“ Aber nicht alles, nur weil es alt ist, ist deswegen auch gut, wie auch alles Neue nicht zwingend gut sein muss.
Es sei denn man verbessert Dinge, dann kann aus „Altem“ sogar „Edles“ werden. Dazu ein lebendes Beispiel unserer kulturellen Zeitgeschichte.
Das Massenaufkommen vor dem Eissalon könnte das alte Anwesen übertünchen, aber Insider steuern die Adresse bewusst an. Dieses Publikum ist weniger multikulti, jedenfalls kennt und schätzt es auch gute Beislkultur, zu deren Vertretern sich meine Wenigkeit hinzurechnen möchte.
Im Jahre 2015 (Kinder, wie die Zeit vergeht!) hat der Meister des Kochlöffels Herr Metin Yurtseven (Vursicht, er red‘t Steirisch und Wienerisch besser als so manch anderer 😊) mit seiner Partnerin den Betrieb übernommen. Zuvor erwarb er sich im Meinl-Restaurant am Graben seine Sporen, um dann den Sprung für etwas Eigenes zu wagen.
Mit viel Herzblut wurde das Lokal Schritt für Schritt von einem früher unterdurchschnittlichen Vorstadt-Beisl auf ein nettes Beisl auf Herzeige-Niveau umgewandelt. Das verdient Respekt! Ist er nun auf dem Weg zu „edel“?
Neben der Küchenverbesserung wurde der gesamte Lokalstil verändert, indem z.B. heute eine Holztäfelung die Wände zierend des Besuchers Auge erfreut. Solches trägt die Handschrift der Partnerin des Meisters. Das nenne ich tolle Arbeitsteilung und schön ist’s geworden. Die Hütte ist klein, fasst ca. 40 Gäste im Inneren, und es gibt einen Schanigarten als auch Innenhof.
Ich hätte da liebend gerne meinen Runden mit ca. 40 Personen gefeiert, wofür diese Location maßgeschneidert wäre. Herr Metin und ich waren schon handelseinig, nur vereitelte eine sog. 2G-Regel das Vorhaben und ich musste schweren Herzens wieder absagen. Das ist zwar eine andere G‘schicht, es soll nur zeigen, welchen Wert das Lokal in seinem heutigen Zustand für mich gewonnen hat.
Ja, so stelle ich mir ein Beisl dieses Schlages durchaus vor, Klasse statt Masse und dazu die individuelle Note. Jetzt fehlen bloß noch läppische weitere 25-30 Jahre, damit das Lokal gehörig Patina ansetzt und dann wäre der Veredelungsprozess abgeschlossen. 😉
Herzeigbare Beislkultur
Man wird in das Angesicht des Meisters nur wenig blicken, der mit unermüdlichem Fleiß in der Küche werkt. Hin und wieder setzt er sich zum Stammtisch und was so üblicherweise von der Küche in die Gaststube wandert, erneut Respekt!
Rindsuppe konstant sehr gut, kräftige Bouillon obligatorisch, ob auch Nachhilfe mit etwas Kraftverstärker wollte ich beim letzten Besuch erforschen. Nachdem wir dazu eine angeregte Diskussion im Forenbereich führten, wollte ich es genau wissen und begab mich auf die Pirsch.
Unschuldig erkundigte ich mich beim Kellner, und er versicherte mir, dass der Koch (er weiß dabei nicht, dass ich ihn eh kenne) ein Haubenkoch wäre, der das keinesfalls täte. Und so wollte ich es ihm auch glauben.
Jetzt fehlt nur noch meine persönliche Bestätigung und ich muss offen zugeben, ich werde es nun auch glauben. Sie war nicht so kraftprotzig, hatte aber einen ansehnlichen Fettanteil und zwinkerte mit einigen kleineren Augerln in meine Augerln.
Geschmacklich kaum zu tadeln, der Leberknödel noch besser und die etwas schärfere Note kam eindeutig von der Muskatnuss, die auch rein darf. Ich war zufrieden, sowohl mit meiner Leistung als Forscher, aber eigentlich noch mehr als Gast, dem’s auch geschmeckt hat.
Hauptspeisen werden immer wieder variiert, nicht nur saisonal, sondern auch mit individueller Note. Typische Wiener Küchenklassiker findet man nicht immer auf der Karte, sind aber, so vorhanden, durchwegs zu empfehlen, manche Gerichte gibt es dagegen fast immer.
Darunter fallen z.B. Käsespätzle, serviert in dunkler Auflaufform, kräftig und würzig mit Bergkäse durchzogen, Rrrrröstzwieberl obendrauf, nix vom Pack’l, versteht sich, vervollständigen den Genuss.
Sind Rindsrouladen am Programm, ist zumeist die Entscheidung getroffen, dann her damit. Feines mageres Fleisch, aber nicht trocken (!) in einem herzhaft sämigen mit Wurzelwerk angereicherten urtypischen Safterl, dazu Bandnudeln, wird zu einem Muss, bislang keine Ausreißer.
Hierorts kriege ich nicht immer, aber immer wieder ein wirklich passables Erdäpfelgulasch, eine Rarität, die zwar jeder, der sich Wiener schimpft, kennt, aber trotzdem nur sehr wenige anbieten.
Ein Ensemble würziger Aromen a la Gulaschsauce von ihrer Kümmel/Majorannote mit geräucherter Wurst (schlag mich tot, welche jetzt genau), dazu die Kraft urwüchsiger heimischer Erdäpfel, beteiligt auch die Nase am Genuss. So was nennt der Volksmund a guat‘s Papperl wie bei der Mama.
Bis auf wenige Ausnahmen variiert immer wieder die Präsentation auf dem Teller. Hier offenbart sich Ideenreichtum, sodass ein und dasselbe Gericht jedes Mal in neuem Glanze am Tische erscheint. Mir gefällt das, das veredelt so auch meine Besuche.
Dazu meine Erfahrung vom letzten Besuch durch einen Faschierten Kalbsbraten mit Erdäpfelpüree. Hausmannskost denkt man sich, doch ich wurde erneut überrascht und das optisch wie geschmacklich. Anstelle Röstzwiebel saisonale Steinpilze, die eine Sensation an Harmonie bildeten, und das obwohl ich kein allzu großer Schwammerlfan bin.
Das Faschierte mit einem Hauch Trüffelöl versetzt, ein Hammer die Jus dazu sämig, leicht einreduziert mit Power, last but not least das Püree ganz feincremig, leicht milchig, weniger buttrig, aber schön fest, ohne viel Fehl und Tadel. Ich hätte mehr Muskat noch eingearbeitet, aber das ging im Gesamteindruck unter, es fiel mir auch erst später auf, als meine Schwarmphase schon im Abklingen war.
Fischgerichte - Verdacht auf Haubenküche?
Was ich hierorts hervorheben möchte ist Herr Metins Fischzubereitung. Dafür hat der Mann ein begnadetes Handerl und stellt so manch gehobenes Fischspezialitätenrestaurant zweitweise in den Schatten.
Ich esse gerne was aus dem Wasser kommt und treffe nicht selten dafür meine Wahl, da sich das hier mit geschätzter Beislkultur trifft. Also nicht immer nur Backhend‘l & Co, wenn beim Lesen der Speisekarte der Fisch mehr lockt.
Ich kann momentan kein Einzelgericht oder Erlebnis beschreiben (ach, das Hirn lässt nach) aber man lässt gekonnt Kreativität spielen mit am Ende fantastischen Ergebnissen. Von Besuch zu Besuch wird sowohl dem Gaumen als auch dem Auge immer wieder eine neue Lehre erteilt.
Gegebenenfalls erfolgt ein Update, dann kann ich auf Details achten. In mir sorgt jedoch die Erinnerung immer wieder für ein nachhaltig angenehmes Echo, so wie der Faschierte Braten noch lebendig in mir meine Ganglien beschäftigt.
Kurz und bündig – der Ausklang
Für das Rund-Um-Sorglos-Pakt hilft der Service mit, der aus immer wieder auch neuen Gesichtern besteht. Eine HP leistet man sich weiterhin nicht, was ich für Schade befinde, es gibt zumindest aktuelle Informationen auf FB.
Meine übliche Kaffee-Meckerei erspare ich mir mit Verlaub, man nehme zur Kenntnis, jawohl Kaffee nach erfolgreicher Fleisch- oder Fischschlacht und hin und wieder Nachtisch gibt es Gott sei Dank hier auch, dazu tröstet der Nussschnaps. Hot a net jeder, noch dazu einen recht guten.
Ach, ehe ich's vergess, es gab noch kein Wort zum lieben Geld. Das mach ich jetzt kurz und bündig. Die Preise sind moderat und angesichts dessen was angeboten wird für meine Begriffe zum Teil sogar günstig, viele HS durchwegs im Rahmen von 15-20€.
Nicht selten habe ich am Heimweg auf einen letzten gesüßten Absacker beim Tichy verzichtet, denn ich musste nach kurzer Überlegung einsehen, dass das „neue“ Alte Beisl seinen Job wieder so erfolgreich erledigt hat, dass einfach nix mehr geht, wie auch zuletzt wieder.
So schleppt man ordentlich abgefüllt etwas schwerfällig seine sterblichen Überreste noch lebend zur U1. Gott sei Dank ist sie nur ein paar Meter vom Tatort entfernt, das aber mitten durch eine für mich bereits recht fremd gewordene Welt. Aber es tut gut zu wissen, dass es darin auch noch solch ein Beisl gibt.
Meine Wertung – hart aber herzlich
Bleibt die Frage, wie werten? Die gegenüber früher deutlichen Verbesserungen der Speisen und Inneneinrichtung werden von mir entsprechend gewürdigt, sind also rundum sehr gut und was Speisen anbelangt sogar noch besser. Ich zaudere aber mit der Höchsnote, denn man macht halt seine Vergleiche.
Wesentlich dazu beigetragen hat auch das Raucherverbot, denn bis dahin war Hütte eine regelrechte Stinkbude und so wurde der Begriff Vorstadtbeisl oft zu einem Schimpfwort. Dagegen ist heute alles recht edel geworden. Das wollte ich nicht unerwähnt lassen.
Ein wenig hadere ich mit dem Service, der zwar ausreichend aufmerksam werkt, aber nicht auf dem Niveau, wie ich mir das für Wiens klassische Beislkultur erwarte. Erledigt wird aber brav der Job, insofern ein hartes aber herzliches Gut.
Empfehlen muss meine Wenigkeit das Lokal jedenfalls, da wir nicht mehr allzu viel Beisln in der Güte eines Vorstadtjuwels besitzen. Beislfreunde hegen mit mir die Hoffnung, es möge der Meister seiner Küche samt Partnerin weiter emsig an der Veredelung arbeiten.
Hilfreich8Gefällt mir6Kommentieren
I know, I know, aber mit Verlaub, es war immer Bestandteil für meine Entscheidung für einen Lokalbesuch. Und hier wollte (!) ich das auch erwähnt wissen. Aber du hast Recht, ist mittlerweile obsolet geworden. Wird in Hinkunft nicht weiter als Beurteilungskriterium herangezogen, da es nun überall gleichermaßen gilt. Ich lerne immer gerne dazu.