Das Lingenhel also.
Ein vergleichsweise neuer Genusstempel, der auf meiner Landstraßer Haupt seine Pforten geöffnet hat. Und mit einem hochinteressanten Konzept. „Lingenhel ist Genuss-Oase, Feinschmecker-Treffpunkt, Käse-Erlebniswelt und urbane Lebensmittel-Werkstätte in einem“, beschreibt Jo...Mehr anzeigenDas Lingenhel also.
Ein vergleichsweise neuer Genusstempel, der auf meiner Landstraßer Haupt seine Pforten geöffnet hat. Und mit einem hochinteressanten Konzept. „Lingenhel ist Genuss-Oase, Feinschmecker-Treffpunkt, Käse-Erlebniswelt und urbane Lebensmittel-Werkstätte in einem“, beschreibt Johannes Lingenhel, vormals bereits mit einem high-end Spezialitätengeschäft (Pöhl) am Naschmarkt aktiv, auf der sehr ansprechenden Homepage sein Lokal. In Symbiose mit Robert Paget, dem Käseprofi und Büffelmozzarella – Papst, der seit immerhin mehr als 30 Jahren als Käsemacher arbeitet und sich auf Käse aus Ziegen- und Wasserbüffelmilch spezialisiert hat, will das Lingenhel mit Restaurant, Spezialitätengeschäft, eigener Käserei, Koch- und Käsereikursen neue Akzente setzen. Alles hochwertige Produkte, bio und slow food, lobenswert und ganz im Trend. So weit, so vielversprechend.
Gestern war’s so weit. Ein Tisch wurde für unsere kulinarische Geniesserrunde B&W, S&M, die Liebste und mich, reserviert. Am Nachmittag wurde ich sogar telefonisch an den Abendtermin erinnert und gefragt, ob es eh bei der Reservierung bleiben würde. Ein Novum, habe ich so auch noch nie erlebt.
Optisch gibt es beim Betreten großes Kino. Eine überbordende Käsetheke, daneben eine Theke mit dem Feinsten, was man aus Wurst und Schinken zaubern kann, feinste Hartwürste, Beinschinken, Prosciutto, Chorizos und noch vieles mehr. Dazu noch Weine, hervorragende Brote, Säfte, Aufstriche, ein veritables Schlaraffenland aus hochwertigen Spezialitäten.
Weiter geht’s durch das längliche Lokal an einer Schank vorbei in den Restaurantbereich. Stilmäßig präsentiert sich das Lingenhel sehr hell, eher nüchtern und modern, die Farbe weiß dominiert. Wir wurden zu unserem Tisch gebracht, das Lokal war sehr gut besucht. Die Tische recht klein und eng, netterweise wurde ein weiterer Zweiertisch zu unserem Sechsertisch gestellt, so hatten wir dann doch ausreichend Platz. Die an Plastik gemahnenden, weißen Holzsessel sehr modern, im Verlauf des Abends dann aber zunehmend ungemütlich. Design meets functionality, grüss Gott.
Wirkliche Ruhe und Gemütlichkeit wollen nicht so recht aufkommen, es herrscht zu viel Unruhe und Hektik in dem Lokal. Die Kellner wuseln herum und hinter dem Restaurantbereich gibt es auch noch einen weiteren Raum, in dem ein „Chef’s table“ gebucht werden kann, Käsereikurse abgehalten werden, etc.
Die Unruhe ist auch dem Service geschuldet, doch dazu später etwas mehr.
Diverse Karten werden gebracht, eine Speisekarte, eine Karte mit offenen Weinen und eine Karte mit Bouteillenweinen. Unsere Kellnerin bringt von Minute eins ziemliche Hektik in den Bestellvorgang, schließlich einigen wir uns auf einen Aperitif in Form von zwei Gläsern Winzersekt, zwei Achterl Gelber Muskateller, einen Pfiff Bier, sowie einem Glas Cava für die Liebste, die auch relativ schnell gebracht werden. Enttäuschung Nummer eins: der Winzersekt wird zeitgleich von B. und S. als furchtbar und nicht trinkbar taxiert. Höflich darauf aufmerksam gemacht, entspinnt sich eine interessante Diskussion mit der Kellnerin. „Nein, Kork hat er sicher keinen“ war die Erstantwort. Schon falsch. Als Gast ist es mir reichlich egal, ob der Sekt Kork oder Grippe hat, wenn er grauenhaft schmeckt, ist die einzig richtige Antwort: „Das bedaure ich, darf ich Ihnen etwas anderes bringen?“. Nach einer erstaunlichen, minutenlangen Diskussion kommt ein weiterer, in der Hierarchie des Lokals offenbar weiter oben angesiedelter Mitarbeiter und erklärt, er wäre auch enttäuscht von diesem Sekt, andere Chargen wären besser, die gibt’s aber nicht mehr, ... - nach laaanger Rede kommen zwei Gläser Prosecco als Ersatz.
Unsere erste Servicemitarbeiterin versteht es, mit ihrer etwas kantigen Art die Unruhe am Tisch weiter am Köcheln zu halten, „Haben Sie schon Wein gewählt?“ „Na, jetzt sind sie aber in der Karte mit offenen Weinen“, „Na gut, dann mach ma halt erst die Essensbestellungen und dann den Wein“... . Ich unterstelle ihr nicht, unfreundlich zu sein, ich glaube einfach, es ist ihre Art, die, sagen wir einmal sehr diplomatisch, etwas herb rüberkommt.
Mittlerweile wird auch Gedeck eingestellt, eine Artischockencreme mit gerösteten Schwarzbrotkrümeln. Dazu zwei Sorten ausgezeichnetes Brot.
Wir bestellen vier mal das Beef Tatar, einmal ein Käsefondue, einmal Jakobsmuscheln, als Hauptgang bestellen wir Seesaibling und die geschmorten Kalbsbackerl mit Curry und Urkarotte. Um auch die Spätzereien der Theke verkostet zu haben, bestellt die Liebste eine Brettljause.
Das Beef Tatar kommt hübsch angerichtet mit einem Eidotter, Zwiebeln, Kapern, Sardellen und etwas Trüffelsauce, alles noch separat und nicht vermischt. Man wird von der Kellnerin gefragt, ob man irgendeine Zutat nicht möchte, diese würde dann entfernt, dann wird das Tatar von ihr am Tisch vor dem Gast durchgemischt. Eine durchaus eigenwillige Art, die ich so noch nie gesehen habe.
Das Beef selbst ist sehr grob, mir persönlich zu grob gehackt, geschmacklich allerdings gut. Ich persönlich bevorzuge, mein Beef selbst aus den am Teller befindlichen Zutaten abzumischen, durch die Menge der verschiedenen Zutaten bekam es eine zu cremige, eintopfartige Konsistenz. Interessanterweise war es trotz der vielen Ingredienzien nicht wirklich gut gewürzt und kann sich auch ob der groben Konsistenz des Fleisches nicht in die Liga der besten Beef Tatars, die ich gegessen habe, einreihen.
Das Käsefondue ist, weil Zwischengang, eine kleine Portion, und findet bei W. durchaus Gefallen. Die Jakobsmuscheln sind hübsch angerichtet und dürften auch ok gewesen sein.
Mittlerweile haben wir uns auch auf eine Weinwahl verständigt. Eine Flasche Grauburgunder, sowie eine Flasche Cuvée „Vulcano“ vom Igler. Die Weine sind gut, der Vulcano wurde leider nicht dekantiert, was dafür sorgte, dass sich eine recht beachtliche Menge „Depot“ im Glas wiederfand.
Auftritt der Hauptspeisen. Optisch allesamt sehr ansprechend angerichtet, die Portionsgrößen eher klein, die Erwartungshaltung auch ob der Preise (das Kalbsbackerl kostet mit einer Urkarotte, einer eingelegten Karotte und einem Kleks Currycreme 22 €) hoch. Das Backerl war wirklich ein Minibackerl, sehr zart, aber leider ohne jede Form von Kraft, Geschmack oder Würzung. Nun könnte man mir vorwerfen, ich hätte als Raucher und Liebhaber scharfer Küche keine Sensorik mehr, um die feinen Geschmacksnuancen zu erkennen, allerdings herrschte an unserem Tisch (3 Nichtraucher) Einigkeit über das Nichtvorhandensein von Kraft und Würze. Ein geschmortes Kalbsbackerl kann so ein wunderbares Gericht sein, verlangt aber, wie jedes Schmorgericht, nach etwas mehr Kraft. Dieses Backerl war selbst durch die Zugabe von Salz und Pfeffer nicht mehr zu retten.
Konsistenz perfekt, geschmacklich eine Niederlage, auch die Urkarotte, was immer das genau sein mag, vermochte nicht, das Gericht in die Nähe der dafür veranschlagten 22 € zu bringen. Die Currycreme war ebenso mild und, ganz subjektiv für mich, nicht die optimale Begleitung für das Backerl.
Der Saibling kam in stattlicherer Größe daher, leider auch ohne erkennbaren Geschmack. „Schonkost“ war noch eine der freundlicheren Assoziationen, die reihum am Tisch fielen, auch hier konnte die wirklich ansprechende Optik des Anrichtens das Gericht nicht retten.
Mittlerweile war der Vulcano leer, also bestellten wir eine Flasche Pannobile vom Beck. Wieder kam etwas Hektik durch unsere Kellnerin auf, die bei der Bestellung zwar anmerkte, „Weißwein haben Sie aber noch“, dies jedoch nicht zum Anlass nahm, die beiden leeren Weißweingläser von S. und B. nachzufüllen. Unsere Anmerkung, wir hätten gerne neue Gläser zur zweiten Flasche Rotwein, nachdem die leeren Rotweingläser vor uns mittlerweile mit unansehnlich viel Depot dekoriert waren, wurde mit einem „Daran soll’s nicht scheitern“ quittiert. Sprach’s und verschwand. Ohne die leeren Gläser mitzunehmen. Bruhaha.
Als sie wiederkam, war ich gerade dabei, den Weißwein, der in einem Eiskübel an der Seite des Raums abgestellt war, abzuholen und die leeren Weißweingläser von S. und B. zu füllen, was der Kellnerin auch kein Wort der Entschuldigung entlocken konnte.
Die Brettljause der Liebsten kam als Hauptgang sehr spät, eigentlich, als wir alle schon mit dem Essen fertig waren, war allerdings optisch und geschmacklich ein Volltreffer.
Feinster Schinken, aufgeschnittene Würste, etwas Käse, der wirklich fantastisch war. Nun, gut, dann wollen wir das mit dem Käse wirklich wissen. Das Lingenhel bietet diverse Degustationsportionen (Weichkäse, Hartkäse, Österreich, Frankreich, Ziegenkäse und International), jeweils für eine Person konzipiert, also bestellten wir 5 Portionen, die nach geraumer Zeit von unserer Kellnerin gebracht wurden.
Nächstes Hoppala: Als die Kellnerin kam, waren wir gerade in ein Gespräch vertieft, ein aufmerksamer Servicemitarbeiter würde sich nun dezent zu erkennen geben und, bevor er die einzelnen Teller serviert, doch ein paar Worte zu den verschiedenen Käsen, die sich nun vor uns befanden, sagen. Ist Käse doch eine der Kernkompetenzen des Lingenhel, viele davon auch aus eigener Produktion. Nicht so unsere Kellnerin. Einfach ins Gespräch hineinserviert, lediglich auf 3 Käse zeigend, diese seien Produkt aus dem Haus. Kehrtwende am Absatz, Abgang. Unglaublich.
Die Käse sind wirklich eine Sensation. Cremige Weichkäse, gute Hartkäse, ein unglaublicher Blauschimmelkäse, leider hatten wir keine Ahnung, was genau hier vor uns stand. Natürlich hätten wir jetzt noch einmal in der Karte nachlesen können, aber ganz ehrlich, ich bin jetzt nicht der ausgewiesene Käseexperte, der allen Käsen vor uns die Namen auf der Karte zuordnen hätte können.
Unverständlich für mich, dass hier nicht etwas mehr darauf Wert gelegt wird, die verschiedenen Käsesorten auch verbal vor dem Gast zu präsentieren, schließlich will man ja, dass selbiger Gast später an der Theke vielleicht den einen oder anderen Käse kauft, eventuell einen Käsereikurs bucht, etc.?
Der Abend schlug sich pro Nase inkl. 10% Trinkgeld mit knapp € 95,- zu Buche, wir zahlten zu sechst also € 560,- für guten Wein, gutes Gedeck, eine mehr als ungenügende Serviceleistung und Speisen, die uns geschmacklich allesamt nicht wirklich zu begeistern vermochten. Mit Ausnahme der Käse, Schinken und Würste. Alles in allem ein sehr, sehr durchwachsenes Erlebnis. Mit einer glatten „5 – Setzen“ für den Service.
Man kann ein Lokal am Reißbrett designen und entwerfen, mit Leben kann man es erst dann erfüllen, wenn Küche und Service, Abläufe, Feinheiten, wie mit dem Gast umgegangen wird, wie Speisen präsentiert werden, wie dem Gast Dinge empfohlen werden, stimmen. Und dort hapert’s halt noch sehr im Lingenhel.
Das Konzept ist sehr gut, die Qualität der Käse ist hervorragend und auch alle anderen Spezialitäten, die an der Theke angeboten werden, machen Lust auf Verkostungen. Die verschiedenen Brotsorten sind ausgezeichnet und auch gute Weine finden sich auf der Karte und zum Mitnehmen.
Bei Küche und Service konnte uns Herr Lingenhel leider nicht überzeugen.
Abschließend noch ein Wort zur Bewertung:
Schwieriger Spagat. Für die Speisen würde ich, auch im Hinblick auf Preis/Leistung eine 2 geben, einzig Gedeck und Käse verbessern das Ergebnis. Ambiente vorne (Theken) top, hinten ungemütlich, hektisch, mit unterdimensionierten Tischen und ungemütlichen Stühlen. 4-5 vs. 2-3, daher eine (gut gemeinte) 4. Service: gut gemeint, mit so vielen Schnitzern, dass sich mehr als eine 2 leider nicht ausgeht.
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natürlich, das ist klar. War auch die Intention meines Kommentars, ehrlich, freut mich, dass das Lingenhel zumindest beim Frühstück brillieren konnte.