Ein Herbstabend in Kirchberg am Wagram mit unseren guten Freunden S. und M. Kulinarisches Ausflugsziel: das „Weritas“ in Kirchberg am Wagram, nördlich der Donau, eine knappe Autostunde von Wien. Diese Gegend ist ein weißer Fleck auf unserer kulinarischen Landkarte, die Liebste und ich waren also...Mehr anzeigenEin Herbstabend in Kirchberg am Wagram mit unseren guten Freunden S. und M. Kulinarisches Ausflugsziel: das „Weritas“ in Kirchberg am Wagram, nördlich der Donau, eine knappe Autostunde von Wien. Diese Gegend ist ein weißer Fleck auf unserer kulinarischen Landkarte, die Liebste und ich waren also gespannt.
Kirchberg gibt sich an diesem kalten und dunklen Novemberabend, obwohl Samstag, ruhig, beinahe wie ausgestorben. Man hört förmlich das „Gute Nacht“ von Fuchs und Hase und steht plötzlich vor einem modernen, sehr großen Glasbau, dem Weritas. Das Restaurant ist eigentlich eine Weinbar, die bereits 2009 ihre Pforten geöffnet hat und den zahlreichen Winzern der Gegend eine Plattform bieten soll. Die Weine der umfangreichen Weinkarte werden zu ab-Hof Preisen angeboten, mit einem € 12,50 Zuschlag, wenn man sie im Lokal konsumiert. Ein durchaus interessanter Ansatz.
Die Wortschöpfung „Weritas“ kommt wohl entweder vom „W“ in Wein oder Wagram, das Lokal ist die Schöpfung zweier ambitionierter Architekten, die damit in der Gegend zweifelsfrei einen Akzent gesetzt haben. Meins ist es nicht, zu groß, zu kalt, zu viel Glas, zu modern für die Landschaft, aber das ist natürlich nur meine ganz subjektive Meinung. Es muss nicht das traditionelle Landgasthaus sein, mind you, aber für mich ist dieser Glaspalast in der Gegend nicht stimmig.
Vorbei an einem kleinen Raucherstehtisch vor der Tür (leider ohne Heizschwammerl) betritt man das sehr kühl gestylte NR-Lokal. Weiß und Glas dominieren, eine große Bar in der Mitte des Lokals, die Tische und Sessel puristisch, modern und kühl. Optisch kommt für mich kein Wohlfühlfaktor auf. Im Sommer könnten wir das Highlight des Weritas, die riesige Terrasse mit entsprechendem Ausblick über das Tullner Feld genießen, bei 1° und Dunkelheit ist dies natürlich keine Option. Das Lokal ist beinahe leer, was die kühle Atmosphäre noch verstärkt. Nun gut.
Der Chef des Hauses, Gerhard Hintermayer, ehemaliger Sommelier im Gut Oberstockstall, betreut uns sehr freundlich, ein angenehmer, warmer Akzent und auch das Highlight des Abends. In der Küche werkt Küchenchef Georg Luger, Mörwald-Schüler, Sous-Chef im Sodoma und Küchenchef im 2-Haubenlokal Gut Oberstockstall, was die kulinarische Erwartungshaltung natürlich nach oben schraubt.
Die Karte verspricht Gutes, es finden sich traditionelle Gerichte wie Kalbsrahmbeuscherl und Eiernockerl, aber auch interessantes wie Wokgemüse mit Freilandhenderl, Beef Tartar mit geräuchertem Dotter. Der Chef des Lokals empfiehlt das Weidegansl, nach Wunsch mit entweder Rotkraut oder Speckkrautsalat, sowie passend dazu die Gansl-Einmachsuppe.
Die Preise sind nicht überzogen, schließlich scheint man im Weritas einerseits Wert auf Bio und hochqualitative Produkte aus der Region zu setzen, außerdem lassen Karte, Ambiente und die Vita des Küchenchefs hochwertige Küche erwarten. Ein Beuscherl für € 8,00 als Vorspeise, € 15,00 als Hauptspeise sind fair kalkuliert, das Gansl für € 23,00 sollte dann schon wirklich was können.
Wir bestellen Beef Tartar, das Wok-Gemüse mit Freilandhendl und für mich das Gansl, vorab bitte mit der Ganslsuppe und, nachdem ich kein deklarierter Rotkrautfan bin, mit dem Speckkrautsalat.
Erst wird einmal das Gedeck serviert, verschiedene Brotsorten, Butter, Chorizo, ein Kräuteraufstrich und Gewürzsalz. Das Brot ist sehr gut, die Chorizo überzeugt nicht, der Aufstrich ist gut, aber auch kein erwähnenswertes Erlebnis. Und hier hatten wir bereits, obwohl ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, den roten Faden des Weritas vor uns: tadellose Optik, gute Produkte, aber kein „Aha-Erlebnis“, kein „Wow“.
Auftritt des Beef Tartar für die Liebste und M.: optisch wirklich sehr, sehr ansprechend angerichtet, tadelloses Rindfleisch, auf dem der geräucherte Dotter thront, umgeben von allerlei Zutaten. Kapernbeeren, Butter, Tomaten, Rettich, klein geschnittene Gurken und ein paar Tupfer eines sehr guten Senfs. Echt viel los auf diesem Teller. Kreativ, gut gemeint, qualitativ gut, aber die ob der Optik zu erwartende Begeisterung wollte sich bei uns nicht einstellen. Das Beef, obwohl offenbar von bester Qualität, zu cremig, die Wahl von Gurken und Radieschen zum Tartar für uns nicht nachvollziehbar. Die Tomaten fielen bei der Liebsten, einer erklärten Tomatenliebhaberin und –kennerin, geschmacklich total durch, lediglich Senf und Ei bekamen Höchstnoten. Ich bin beim Tartar auch eher Purist, ein „Bausatz“ zum Selber-zusammenmischen ist ok, Zwiebel, etwas Pfeffer, Ei und gutes Fleisch, Butter und guten Toast, mehr braucht’s für mich nicht. Das Tartar sollte durch die Einfachheit perfekter Zutaten, das Handwerk des nicht zu dünn, nicht zu dick gehackten Fleisches bestechen, nicht durch allerlei Chi-chi.
Meine Ganslsuppe: hier wiederum war die Welt wieder in Ordnung und ließ meine Erwartung auf ein gutes Ganslerlebnis steigen. Eine sehr feine, gut abgeschmeckte Suppe war das, mit kleinen Einmachknöderln, klein geschnittenem Gemüse. Geschmacklich genau richtig, ohne zu schwer zu sein. Perfekt.
Es kam das Wok-Gemüse mit Hendl auf hausgemachten Bandnudeln. Die Nudeln eher nicht Band, sondern rund und dünn, eindeutig hausgemacht, aber für meinen Geschmack zu mehlig. Und wirklich versteckt unter einer Art Eintopf aus Gemüse, Sauce und Hendlstücken. Sehr weich, das Ganze, und etwas süßlich. Lese ich in der Karte Wok-Gemüse mit Hendl, erwarte ich knackiges Gemüse, kurz gebratene, zarte Hendlstücke, etwas Sauce. Die Nudeln sollten Beilage sein, nicht unter dem viel zu sämigen Gericht erschlagen werden. Vielleicht war unsere Erwartungshaltung einfach eine andere, Begeisterung vermochte auch dieses Gericht nicht auszulösen.
Nun zum Gansl: auch hier wieder optisch sehr ansprechend angerichtet, eine Keule, die Brust in Streifen aufgeschnitten, drei kleine Waldviertler Knödel, etwas Saftl und eine hauchdünne Scheibe getoastetes Brot als optischer Aufputz. Das Gansl eher hell, die Haut nicht wirklich knusprig, der Brotchip entbehrlich, zumal er wirklich nur der Optik dienen kann. Kommt er in Berührung mit dem Saftl, verwandelt er sich nämlich in Sekunden in weiches, getoastetes Brot. Die Knödel waren gummiartig und bar jeden Charakters. Geschmacklich erinnerten sie mich an, man verzeihe, Eiskasten, das darf wirklich nicht passieren. Ich habe in unzähligen, einfachen Gasthäusern bessere Erdäpfel- oder Waldviertler Knödel gegessen, zu einem Bruchteil des Preises. Schwere Niederlage. Leider konnte auch das Gansl nicht überzeugen, es war geschmacklich keine Offenbarung, überwiegend sehr fasrig, die Bruststreifen hatten einen unangenehmen, penetranten Geschmack, wie wenn man Ganslfett mit einem Löffel ist. Nein, nein, das war nichts. Der Speckkrautsalat war geschmacklich in Ordnung, wenn auch von der Konsistenz viel zu weich.
Zu diesem Zeitpunkt war ich ob der Vita des Küchenchefs schon sehr, sehr verwundert. Solche Schnitzer dürfen einfach nicht passieren. Trotz Berücksichtigung subjektiven Geschmacks, der Schwankungsbreite persönlicher Präferenzen, das war kein gutes Gansl. Es fehlte der Charakter im Geschmack, der Pfiff im Saft’l, das Herzhafte eines handwerklich gut gefertigten Waldviertler Knödls, sowie das Aha-Erlebnis, wenn man in ein Stück eines wirklich zarten Gansls beißt.
Alls Dessert wählten wir eine Crème Catalana, sowie einen Schokokuchen mit flüssigem Kern, beides mit Himbeer-Sorbet, beides optisch und geschmacklich sehr gut. Dazu Espresso, ebenfalls gut und kräftig.
Die glasweise Weinbegleitung war schwer in Ordnung, wir hatten vorab einen jungen 2016er Muskateller, einen sehr soliden Grünen Veltliner und eine Cuvée aus Zweigelt, Merlot und Syrah, die ebenfalls mundete. Ist ja vor allem eine Weinbar in einer Gegend mit vielen guten Winzern.
Insgesamt konnte der Abend nicht überzeugen. Weine gut, Service sehr gut, Ambiente für meinen Geschmack zu kühl, das sei aber auch der Jahreszeit geschuldet. Die Zigarettenpausen zwischen den Gängen vor der Tür bei 1° waren kurz und frostig, in einem Lokal dieser Kategorie erwarte ich mir schon den Komfort eines Heizschwammerls.
Das Essen blieb trotz der wirklich ansprechenden Optik, mit Ausnahme der Suppe und der Desserts hinter den Erwartungen zurück, das Gansl kann ich leider nur auf die letzten Plätze der von mir konsumierten Gansln verweisen, die Knödel auf den Allerletzten.
Im Sommer stelle ich es mir nett vor, auf der Terrasse zu sitzen, ins Tullner Land zu schauen, das ein oder andere gute Glas Wein zu genießen, ein paar regionale Schmankerln dazu. Der freundliche Service durch den Chef lädt durchaus zum Sitzenbleiben ein, bei der Küche sollte man möglicherweise einen Gang runterschalten. Manchmal ist weniger und simpler mehr, Produktqualität und das Bekenntnis zu Bio und Regionalität sind ja gute Ansätze.
„Less bells and whistles, more character“ würde ich mir wünschen.
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