am 2. Oktober 2013 · Update 6. Okt 2013
SpeisenAmbienteServiceStefanie Herkner. Nein, nicht Stefanie Hertel. Ich muss schon bitten!
„G’scherte“ wie ich haben von Herkners Vater Heinz noch nicht so viel gehört. Das erklärt nämlich auch den klingenden Namen, den viele „Herkner-Fans“ anlässlich der Eröffnung des Lokals in der Wiedner Hauptstraße sehnlichst...Mehr anzeigenStefanie Herkner. Nein, nicht Stefanie Hertel. Ich muss schon bitten!
„G’scherte“ wie ich haben von Herkners Vater Heinz noch nicht so viel gehört. Das erklärt nämlich auch den klingenden Namen, den viele „Herkner-Fans“ anlässlich der Eröffnung des Lokals in der Wiedner Hauptstraße sehnlichst, ja fast wie eine Wiedergeburt, erwartet haben dürften.
Das Lokal hat an drei Tagen zu (Samstag bis Montag), was für mich als Eventuell-Irgendwann-Lokalbesitzer absolut verständlich und nachvollziehbar ist. Ist das Lokal gut, kommen die Leut‘ dann hin, wenn halt offen ist. Punkt.
Und auch ein Lokalbesitzer und Koch braucht mal Ruhe und Entspannung, um an den offenen Tagen bestens drauf sein zu können – von der Vorbereitungszeit wollen wir ja gar nicht erst reden.
Guten Abend, hätten Sie noch ein Platzerl frei?
– „Naja, ich müsst‘ Sie halt wo dazusetzen, ich bin sonst nach 7 total voll!“
Für mich kein Problem, ich ess‘ auch wirklich niemandem was vom Teller!
- „Ti hi hi, kein Problem, kommen’S einfach mal vorbei!“
Doch wo ist das Lokal? Nr. 36 – ein Geschäft für Installationen, in riesigen 50er-Jahre-Lettern. ReTe mobil sagt auch Nr. 36. Falsch eingetragen? Wie hat der geschätzte User Gastronaut hierher gefunden?
Doch sieh mal an – das Geschäft IST das Lokal. Ein kleines Schild rechts und ein „Psst!“-Schild von der WKO links vom Eingang „verraten“ das Lokal.
Drinnen sieht’s aus –wie in einem Installationsgeschäft eben, allerdings erinnern nur mehr riesige, neue Absaugröhrln aus der Küche an Installationsarbeiten. Und der braun-g’scheckerte, zum Teil schon rissige Terrazzo, bei dessen Anblick ich schon fast kalte Füße bekomme.
Eine „selbstgemachte“ Bar, Bistrotische. Die robusten Sessel Marke „Lehrersessel Volksschule 1987“ wie schon mal in der Disco Volante von vor ein paar Wochen.
Eine alte Lampe am Tischerl beim Eingang, alles sehr karg und einfach gehalten. Aber doch irgendwie mit seinem einfachen Reiz, man erinnert sich an die wenigen Farbtupfen im recht angenehm beleuchteten Lokal.
Eine hoch aufgeschossene Kellnerin im entzückenden Piroska-Kleid samt Schürze und unverkennbar südkärntner Dialekt im Gespräch mit der Chefin, die ich zwar zuvor noch nie gesehen habe, aber sofort als solche erkenne.
Guten Abend. Ich hab angerufen!
- „Ah, der Herr aus der U4, kommen’S, gleich hier!“
Die Dame ist wahrlich ein Unikat – eine einprägsame, hohe Stimme, ein Lächeln, das Augen und Nase zusammenkneift und ein einzigartiges Outfit, das mich sofort wieder auf die Visitenkarte blicken lässt.
Meine Assoziationsrädchen drehen sich, vor mir erscheinen Monika Weinzettl, Trude Herr und eine Burlesque-Künstlerin aus der Zeit vor den 1930er-Jahren, also jene, die sich außer ihrer Handschuhe kaum weiterer Kleidungsstücke entledigten.
Ach ja, meine Mutter würde sie garantiert um ihre genialen roten Schuhe beneiden. Mein Wort.
Also bitte nicht falsch verstehen, ich verteile hier wohlverdiente Komplimente.
Die Speisekarte: nicht mehr als ein Blatt Papier, links eine Tabelle mit den Getränken, rechts eine Tabelle mit drei oder vier Gerichten, manche erst ab Mittwoch verfügbar, dazu noch ebenso viele Desserts.
Erinnert mich ein wenig an den selbst auszufüllenden Punktezettel beim Gemeinde-Minigolf.
Ganz klar – hier wird frisch gekocht, die Küche hat ihre eingeschränkte Kapazität, wenn was aufgegessen wurde, gibt’s dies eben erst am nächsten Tag wieder. Einer der Ersttester kann mit dieser Tatsache nichts anfangen, er möge doch in die Convenience-Abteilung im ersten Bezirk gehen, wo jede Speise bis 2:30 erhältlich ist.
Nur – der Laden läuft, und die beiden Damen schupfen den bummvollen Laden, dass es nur so raucht!
Dabei kümmert sich die begnadete Chefin immer wieder persönlich um ihre Gäste, seien es nun Stammgäste oder so Neulinge wie ich.
„Serbisches Menü“ für mich: es gibt serbische Krautsuppe. Mit Debrezinern.
Schön knackig-weiches Kraut (das macht so ein eigenes Beißgeräusch!), schöne säurig unterlegte Süße, nicht überwürzt, die Debreziner leider ein bisserl zu weich, da fehlt mir ein wenig der deftige Biss.
Und weiter serbisch: Sarma – Krautwickel, Kartofferl. Dazu wie schon bei der Suppe ein Tupfer Sauerrahm und ein wenig Paprika drauf.
Die Rouladen sind etwas weicher als etwa in der Bacówka letztens im 15., aber auch sehr gut. Da schmeckt man keine Würzmittel raus, ehrliche Hausmannskost.
Ohne Riesenteller, ohne Trockenkräuterdekoration, ohne Balsamico-Unterschriftsprobe am Tellerrand.
Drei Desserts, ja aber welches nehmen?
- „Der Apfelstrudel ist grad vor einer Stund‘ aus’m Rohr ’kommen!“
Na bitte, der muss es sein!
Großartig – der Teig ein dünnes Häutchen, aber darunter ein Gebirge: die Gabel zerteilt den Strudel mühelos in einem Zug, keine labbrigen, faden Äpfel, an denen die Gabel abrutscht wie sonstwo.
Das Zusammenspiel aus aromatischen Nüssen, Rosinen und den Äpfeln ist perfekt, das ist kein gewöhnlicher Apfelstrudel, der ist schlichtweg außergewöhnlich:
UNESCO-Weltstrudelerbe!
Ich muss sie darauf ansprechen - und sie wird plötzlich fast sentimental.
- „Das wird meine Mutter freuen, wenn Sie das hört! Da sind noch echte Maschanzker drin!“
Was soll ich noch nehmen, Himbeergrütze oder Hollerkoch?
- „Hollerkoch hab‘ ich halt nur jetzt, die Himbeergrütze hamma sonst auch! Im Hollerkoch sind halt noch die schwarzen Hollerbeeren drin!“
Das gefällt mir. Hier gibt’s noch die alten Hausfrauenrezepte, fast könnte man sagen „Arme-Leute-Küche“ (wie sie auch schon ihr Vater kredenzte), mit der die heutige Crème-Brulée-Bourgeoisie zumeist nichts mehr anfangen kann.
Sicher, jedes einzelne Holunderbemmerl hat sein eigenes Kerndl drin – das knirscht beim Beißen ganz eigen und immer wieder bleibt mal eins auf der Kaufläche vom 6er und vom 7er picken.
Das gehört halt dazu.
Doch auch dieses Rezept, zusammen mit den Zwetschken und einer Kugel Vanilleeis (bissi zu hart) gehört eindeutig unter Schutz gestellt.
Die Preise: sehr volksnah, das links in der Lokalinfo erwähnte "Gehoben" kam sicher vom Ersttester.
Zum Schluss noch ein kurzes Wort zur Toilette: kleine Sitzschüssel, kleine Stehschüssel, perfekt gepflegt, fast wie eine Toilette zuhause. Über der Stehschüssel prangt ein Plakat aus dem frühen 20. Jahrhundert – mit einer Burlesque-Künstlerin.
War meine Assoziation also doch nicht so falsch!
Das Waschbecken am Eingang zum Gastraum montiert, schauen mir die Gäste beim Händewaschen zu.
Am Waschbecken steht ein Topferl mit Efeu, die Seife nicht vom Diskonter, aus Frankreich importiert? Am Regal daneben Devotionalien, Parfümflakons. Ich muss schmunzeln.
Fazit: mit großem Respekt eine kleine Verbeugung – denn ich komme wieder. Schließlich ist da ja noch ein Chili auf der Karte – und die Himbeergrütze natürlich.
Frau Herkner hat schon viel in ihrem Leben gemacht, kam in der Welt herum, vor allem im Bereich des Kulturmanagements.
Aber irgendwann „hab‘ ich g’wusst, was ich für mich mit meinem Leben machen muss!“
Genauso ist es – man muss das machen, was man am besten kann. Und wenn das auch noch Spaß macht, ja dann kann man eigentlich kaum noch was falsch machen.
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Besuch Nr. 2 Tage später:
Grießnockerlsuppe lind aber echt und unverfälscht, Nockerl riesig, schön kernig fest.
Schinkenfleckerl allerehrenwert: knusprig würzig oben, dampfend-vollmundig drunter.
Chinakohlsalat dazu, mit Radieschen, Tomaten werden rausgeklaubt.
Kernöl auf Wunsch. Kommt unverdünnt, wie's gehört.
Zwetschkenknödel mit den kleinen Hauszwetschken, Brösel schön braun und nussig.
Himbeergrütze: Suchtgefahr, auch wenn sie für mich ruhig weniger süß sein kann.
Ungeschlagenes Obers oben drauf, nicht zuviel.
Wieder erstklassig gegessen und wieder viel gelacht.
Das Lokal hat auf der Wieden gefehlt!
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