Heute war’s soweit, heute wollt’ ich’s wissen.
Gefühlte 1000 Mal bin ich an der Pizzeria Sicilia vorbeigefahren, im „short final approach“ zu meinem zu Hause, an der Ecke Rennweg und Oberzellergasse. Und gefühlte 1000 Mal hat mein Herz geblutet, wehmütig an die Zeiten denkend, als es noch das ...Mehr anzeigenHeute war’s soweit, heute wollt’ ich’s wissen.
Gefühlte 1000 Mal bin ich an der Pizzeria Sicilia vorbeigefahren, im „short final approach“ zu meinem zu Hause, an der Ecke Rennweg und Oberzellergasse. Und gefühlte 1000 Mal hat mein Herz geblutet, wehmütig an die Zeiten denkend, als es noch das „Trinacria“ war, als Damiano, der Chef und Pizzaiolo eine Pizza aus dem Holzofen zauberte, die bis heute meine Messlatte für die perfekte Pizza ist.
Doch das ist viele Jahre her, mittlerweile hat das Lokal mehrfach seine Besitzer gewechselt. Eine Zeit lang war’s das „Sicilia II“, jetzt ist es einfach die Pizzeria „Sicilia“, mit Pächtern/Besitzern, die seit einem Jahr das Lokal betreiben.
Die Gegend könnte herausfordernder nicht sein. Genau an der Ecke ist wohl das geringste Fußgängeraufkommen des gesamten dritten Bezirks, hier verirrt sich nur jemand in das Lokal, der zielgerichtet dorthin will.
Damiano hat es damals geschafft, eine für diese Ecke unglaubliche Auslastung herzubringen, Mundpropaganda war das Erfolgsrezept, man wusste, dort gibt’s exzellente Pizze. Um so trauriger war es, in den folgenden Jahren im Vorbeifahren Schilder der Nachfolger mit der Aufschrift „Montag ist € 5,- Pizza-Tag“ zu sehen - der Anfang vom Ende. Wie kann man zu diesem Preis noch irgendeine akzeptable Qualität rausservieren?
Egal, heute nahm ich mir das Herz, das Sicilia bar jeder Nostalgie und unvoreingenommen in Augenschein zu nehmen.
Im Netz finden sich zwei Homepages, ein Link führt direkt zu einem Zustell-Portal, ein anderer führt zu einer auch nicht gerade vielversprechenden Seite. Es findet sich dort eine „Menükarte“, auf der von einer Leberknödelsuppe über Burger bis hin zu „mexicanischen“ Spezialitäten alles erdenkliche in orthographisch teilweise sehr kreativer Schreibweise angeboten wird. Und natürlich Unmengen von Pizze, „normal“, „speciale“ und „Family“. Insgesamt über 100 Positionen. Gut, meine Erwartungshaltung rutschte langsam in Richtung Keller.
Egal, ich will’s jetzt wirklich wissen, also machte ich mich auf den kurzen Fußweg zum Sicilia. Das Lokal war (22:00, Donnerstag) – leer. Man betritt es durch einen Schankraum mit 9 Tischen (NR), weiter hinten gibt’s noch einen Raucherraum, durch eine Türe brav getrennt.
Indem ich der einzige Gast war und das Personal offenbar nicht mehr wirklich mit einem Gast gerechnet hatte, wurde mir beschieden, dass ich mir einen Tisch im NR, quasi gleich gegenüber der Schank, aussuchen könne, und auch dort rauchen dürfe. Sehr freundlich.
Gäste kamen während meines Aufenthaltes auch keine mehr, das Verhältnis Staff:Guest war 6:1. Chef, Pizzaiolo, Kellnerin, noch eine Dame, sowie zwei Auslieferer tummelten sich an und hinter der Schank, ich war, wie gesagt, der einzige Gast. Die freundliche Kellnerin brachte mir gleich die Speisekarte, worauf sich das erste Gefühl positiver Überraschung breit machte. Keine Tex-Mex Spezialitäten, keine Spur von Leberknödel.
Eine zugegeben recht generische, italienische Karte mit Antipasti, Insalate, Zuppe, Pasta, Pizza, Pesce, Carne und Dolce, insgesamt die üblichen Verdächtigen, die man auf so einer Karte erwartet. Ein bisschen „patschert“ wird’s, wenn man die Seite mit den „Carne di Vitello“ aufschlägt, also „Fleischspeisen vom Kalbfleisch“, findet sich dort von immerhin 15 Positionen kein einziges Kalbfleischgericht, sondern Pute, jede Menge Schwein (auch als Cordon Bleu), und zwei Steak – Varianten (wahrscheinlich vom Rind, also „vitello vecchio“, so gesehen nicht ganz am Thema vorbei ;-). Soll hier aber nicht überbewertet werden, ein kleiner linguistischer Lapsus.
Ich entscheide mich für die Pizza Provinciale (Schinken, Speck, Mais, Pfefferoni), wie immer extra „nero“, also gut durch, und mit dem für mich obligatorischen Ei in der Mitte. Kein Problem. Bei meinem Standard-Request nach „Olio di Peperoncino“ muss die freundliche Kellnerin erst einmal in der Küche nachfragen. Geschenkt.
Nach wenigen Minuten kommt der Fladen aus dem Holzofen, groß, aber gerade noch auf den Teller passend. Der Teig ist eine der positivsten Überraschungen des Abends, hier beherrscht jemand das Handwerk. Der Rand ist einen Tick zu dick, aber trotzdem noch sehr knusprig und nicht zu teigig. Die Tomatensauce könnte etwas mehr sein, und der Käse ist leider eine Pizzakäsemischung und kein Mozzarella. Dafür verdient der Schinken großes Lob, ein dunkler, definitiv geräucherter und geschmacklich guter Schinken, kein Toastblock. Dazu noch ein paar Scheiben würziger Bauchspeck, etwas Mais, Gott sei Dank nicht zu viel, und – quelle surprise – ENDLICH nicht die üblichen Ölpfefferoni aus dem Billig-Glas. Echte, kleine, grüne Pfefferoni im Ganzen, genauso wollen wir das.
Das Ei in der Mitte ist fast perfekt, die 10 Sekunden zu viel Garzeit sind vielleicht meiner Extra-Bestellung der Pizza „nero – knusprig“ geschuldet, aber jedenfalls noch wachsweich, keine Eierspeis’.
Olio di peperoncino gibt’s auch, ein Schüsserl mit rotem, klaren Öl wird eingestellt, die Schärfe leider äußerst moderat.
Dazu ein Viertel Lambrusco und los geht’s.
Während ich Pizza/Lambrusco genieße, ein paar Worte zum Ambiente: der schlichte, sizilianische Chic des „Trinacria“ ist Vergangenheit, das Ambiente hat sich etwas nach Süden ins ägyptisch – orientalische verlagert. Nicht, dass ich etwas gegen diese Region hätte, - bei einer Pizzeria sägt das natürlich kräftig an der Authentizität. Die blau beleuchtete Sphinx und die ebenso blau beleuchteten Pyramiden am Holzofen sind zwar, nun ja, originell, aber ein bisschen tut das schon weh.
Die Pizza ist (fast) verspeist, der Lambrusco ist ausgetrunken, Zeit für den obligaten Ristretto in Begleitung seines besten Freundes, Dottore Grappa. Der Espresso ist kurz, kräftig und gut, der Grappa ist unbekannter Provenienz (Frage an die Kellnerin: „Was ist das für ein Grappa? – Antwort: „Irgendein Grappa“. Aha.), aber dafür nicht einmal schlecht.
Der Hammer kommt mit der Rechnung: Pizza – Lambrusco – Espresso – Grappa schlagen sich mit gerade einmal € 16,30 zu Buche, Preise fast wie zu Schilling-Zeiten.
Mein Fazit: Die Pizza hat Potential, und zwar so richtig. Der Teig ist tadellos, ein wenig dünner wäre die absolute Perfektion, aber das ist halt mein Geschmack. Etwas mehr Tomatensauce, und bitte, bitte, bitte, keinen Pizzakäse. Mozzarella is the name of the game, kostet pro Pizza nicht wirklich viel mehr, ist aber dafür echter Käse.
Der Schinken ist sehr gut, so auch der Speck, die Pfefferoni sind eine positive Ausnahmeerscheinung in der Wiener Pizza – Landschaft.
Beim Olio di Peperoncino macht’s halt mehr her, wenn echte, klein geschnittene Peperoncini in hochwertigem Olivenöl eingelegt werden und die Flasche am Tisch eingestellt wird. Kostet nicht die Welt, kann aber viel, viel mehr.
Sonst ist halt einiges ein bisschen „patschert“. Auf der Karte finden sich gerade einmal 5 Rotweine „Chianti, Valpolicella, Lambrusco, Roter Bacchus (whatever that is) und Lacrima Christi (bääääh!), über der Bar stehen locker 20 Bouteillen Rot. Warum gibt’s keine Weinkarte??
Zum Service: dafür, dass ich der einzige Gast war, war der Service viel zu schüchtern und zu passiv. Offenbar überrascht, dass (noch) jemand kommt, wurde zwar höflich gefragt, serviert, kassiert, - dass ich das Personal-Sextett an der Bar mit Handzeichen darauf aufmerksam machen muss, wenn ich noch etwas bestellen möchte, ist nachgerade skurril.
Mehr authentisches Ambiente täte dem Lokal gut, eine klare, italienische Linie, immerhin macht man ja auf Pizza und Pasta und nennt sich „Sicilia“.
Mehr Mut zu hochwertigen Produkten, die den wirklich guten Pizzateig und die sicherlich vorhandenen, wohl gemeinten Ansätze positiv verstärken würden. In der Location wird’s nur funktionieren, wenn, wie zu Damianos Zeiten, die Leute durch Mundpropaganda wissen, dass es dort exzellente Pizze, gemütliches Ambiente und tollen, charmanten Service gibt.
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, das „Sicilia“ hat sich damit abgefunden, sein Hauptgeschäft mit der Zustellung zu machen.
Schade. Da ginge noch mehr. Viel mehr.
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Vielleicht steckt da ein tieferer Sinn dahinter, dass das Sterbehospiz gleich in der Nähe ist? :-)