Tag 1 der Wiedereröffnung der Gastronomie.
Der kulinarische Lockdown ist vorbei, die Wirten dürfen wieder aufsperren, wenn auch mit vielen Einschränkungen, die uns unter dem Überbegriff, oder wollen wir sagen, dem Unwort „new normal“ oder „neue Normalität“ wahrscheinlich noch länger begleiten...Mehr anzeigenTag 1 der Wiedereröffnung der Gastronomie.
Der kulinarische Lockdown ist vorbei, die Wirten dürfen wieder aufsperren, wenn auch mit vielen Einschränkungen, die uns unter dem Überbegriff, oder wollen wir sagen, dem Unwort „new normal“ oder „neue Normalität“ wahrscheinlich noch länger begleiten werden. Hoffentlich nicht für immer.
Lang ist’s her, seit wir quasi selbstverständlich nach einem Arbeitstag zum Wirten ums Eck oder zum Italiener unseres Vertrauens pilgern durften, wie normal schien es uns, wie wenig aufregend hatten wir dies empfunden, bis, ja bis uns dieses kleine Virus vor zwei Monaten dieses (und andere) Vergnügen gestrichen hat. Aus Maus, kein Italiener, kein schneller Espresso im Vorbeigehen, kein Würstelstand, kein gediegenes Schnitzel beim Wirten, nix ging mehr.
Natürlich haben wir alle, also ich zumindest exzessiv, im Lockdown die Küche bemüht, den Grill angeworfen, gute Kulinarik geht auch zu Hause, mit der Liebsten, mit Wein, Romantik, Kerzen und scharf. Ein Dinner mit Freunden auf Zoom oder Skype geht natürlich auch, ist aber halt doch nicht „the yellow from the egg“, um mit Guido Westerwelle zu sprechen.
Daher war die Sehnsucht heute groß, als wir wussten, wir dürfen wieder ausgehen. Aufregung bei der Liebsten und mir. Wohin gehen wir? Gehen wir überhaupt? Does it look desperate?
Hin und her gerissen zwischen der Erkenntnis, ja, wir sind in gewisser Weise Restaurant-junkies (was sonst würde mich dazu bewegen, seit 8 Jahren hier zu posten?) und nein, zu Hause bleiben wäre ganz blöd, weil jetzt gilt es ja, den Wirten zu helfen, quasi als personifizierte Härtefonds, entschieden wir uns für das Ausgehen. Wohin also? Stammlokal? Was Besonderes, mit kleinem Schwarzen, black tie und alles? McD, quasi als statement „wir könnten, wollen aber nicht“? Nein, das wurde natürlich sofort verworfen.
Die Wahl fiel schließlich auf einen Italiener um zwei Ecken, das „Giuliano Due“ in der Tendlergasse, eine langeingesessene Pizzeria, die ich schon vor etwas über einem Jahr besucht hatte. Warum das Giuliano? Weil der Appetit auf Pizza sehr prominent war. Und die Liebste noch nie dort war. Weil wir in 60+ Tagen Lockdown wer-weiß-nicht-was aus der Österreichischen, Bulgarischen und Internationalen Küche indoor und am Grill hatten, aber eben keine Pizza (außer einmal, ganz am Anfang, da ließen wir uns eine Pizza von der Enopizzeria „Toledo“ kommen).
Lange Einleitung, ich weiß, aber dieser Tag, diese Renaissance aus einer, für uns alle doch unglaublich lange Zeit gastronomischer Entbehrung verdient eine etwas genauere Beschreibung, eine Einordnung, eine Mitteilung der Befindlichkeit des Verfassers dieser Zeilen und seiner Liebsten. Man verzeihe mir.
Brav telefonisch reserviert, die Guidelines sowohl auf der HP des Lokals gelesen, die heutige Pressekonferenz der Regierungsspitze verfolgt, um ja nichts aus dem Corona-Knigge der „new gastronomy“ zu verpassen. Wär ja peinlich, wenn alle anderen mit einer Spezialmaske Pizza essen, nur wir haben keine dabei.
War dann eh nicht so schlimm.
Wir konnten tatsächlich noch einen Platz reservieren und machten uns mit Herzklopfen auf zur Pizzeria Giuliano Due. Schon seltsam, das „new normal“, mit Maske in das Lokal gehen und brav warten, bis wir einen der Tische im platzmäßig ausgedünnten Lokal zugewiesen bekommen.
Der erste Eindruck: ein wahrlich scharfer Kontrast zwischen echter Aufbruchsstimmung (man spürte, wie sehr das Personal froh war, wieder Gastgeber sein zu dürfen, wie die Gäste es genossen, wieder in einem Lokal sitzen zu dürfen) und coronabedingter Sterilität (Schilder an der Bar, die darauf aufmerksam machen, dass an eben dieser nicht bedient werden kann), aber die Freude hat dann doch überwogen.
Wir bestellen ein Achterl/ein Vierterl Primitivo, eine Karaffe Wasser. Die Liebste möchte das Reopening mit gegrilltem Tintenfisch, in Begleitung eines kleinen, gemischten Salates zelebrieren, ich entscheide mich spontan für die Pizza „Giuliano“, mit Speck, Zwiebel und Rahmdressing.
Der Wein stellte sich als sehr gute Wahl heraus, kurz danach wurden die Speisen serviert. Ein sehr frischer Salat, der die uneingeschränkte Zustimmung der Liebsten fand, gefolgt von einer großzügigen Portion Calamari, auf den Punkt gegrillt, zart, wohlschmeckend, mit allerdings etwas zu viel Öl auf dem Teller. Hier dürfte dem Koch durch die Aufregung des gastronomischen Neustarts das Ölflascherl in der Hand etwas ausgerutscht sein.
Gewöhnungsbedürftig war natürlich auch, dass „condiments“, also Salz, Pfeffer, Öl und Balsamico in kleinen Portionssäckchen auf einem Extrateller serviert wurden, - eine weitere Konzession an die Corona-Auflagen, Menagen mit Salz, Pfeffer, Essig und Öl am Tisch sind vorerst gestrichen.
Nun zu meiner Pizza. Der Teig, wie schon das letzte mal, sehr gut und gut gewürzt. Ich mag die Pizza etwas knuspriger, nicht so sehr, wie die klassische neapolitanische Variante, mit fluffigem Rand, und auch der Speck vermochte wieder zu überzeugen. Es gab reichlich Zwiebel auf der Pizza, das muss man halt mögen. Das in der Speisekarte aufgeführte „Rahmdressing“ erwies sich als recht großer Klecks Sauerrahm in der Mitte der Pizza und ließ mich dann doch etwas ratlos zurück. Ja eh, passt nicht schlecht, wenn man Teig und/oder Speck eintunkt, aber will man einen „Sour Cream Dip“ wirklich auf einer Pizza? Und ist das wirklich die Pizza, die den Namen des Lokals tragen soll, quasi als „signature dish“ der Pizzakarte?
Das Fazit des Abends?
Schön, wieder ausgehen zu können. Ehrlicherweise haben mir die Restaurants bis gestern gar nicht so sehr gefehlt, ja schon, ab und zu hab ich wie auf Entzug auf ReTe geklickt, wissend, dass es (außer über Zustelldienste) keine Reviews geben kann. Aber heute, im Lokal sitzend, wurde mir sehr schnell und deutlich bewusst, wie sehr mir diese Facette unseres Lebens gefehlt hat. Ein Lokal genießen, sich über guten Service freuen, mit anderen Menschen zusammen in einem Restaurant ein Abendessen genießen können, das tat wahrlich gut.
It’s not the same, an manche Dinge werden wir uns leider zumindest für eine gewisse Zeit gewöhnen müssen. Viel Romantik kommt leider nicht auf, wenn man mit Mund-/Nasenschutz an den Tisch geführt wird und auch der Plexiglasschirm der Kellnerin wirkt befremdlich, wie auch die Regeln, die es fortan zu beachten gilt. Das Virus hat uns nun die neue Normalität gebracht, der Handschlag oder gar das Bussi bei der Begrüßung im Stammlokal sind vorerst Geschichte.
Vorbei sind auch erst einmal die Fluchtachterl an der Bar und auch das Lächeln der Lokalbesitzer wird erst einmal auf längere Zeit angespannter sein, wenn man bedenkt, dass Wiederöffnung noch lange nicht den gleichen Umsatz wie vor der Krise bedeutet, ganz zu schweigen vom Spagat, offen zu bleiben und gleichzeitig wegen des verordneten „social distancing“ weniger Tische bespielen zu können.
Die Gastronomie hat sich, wie auch so viele andere Bereiche, verändert und wird sich noch weiter verändern. Manche, (viele?) werden aufgeben (müssen), viele werden hoffentlich überleben.
Und trotzdem, „at the end of the day“ ist es Jammern auf höchstem Niveau.
Immerhin dürfen Restaurants wieder aufsperren und immerhin scheinen wir in diesem Land ja tatsächlich (vorerst) mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.
An alle, die diese etwas andere Review bis hierher gelesen haben: Chapeau und vielen Dank für die Geduld, aber es war mir ein Bedürfnis, diesen doch etwas anderen Restaurantbesuch zu beschreiben und mich nicht nur auf die Bewertung von Speisen, Getränken, Service und Preis/Leistung zu beschränken.
Jeder von uns hat in den letzten Monaten erfahren müssen, wie schnell und signifikant sich Dinge in unserem Alltag und Leben ändern können. Für viele Gastronomen war/ist diese Krise existenzbedrohend und sie ist beileibe noch nicht vorbei. Für die Lokalbesitzer, die Köche, die MitarbeiterInnen im Service, aber auch für uns, die Gäste, ist es aber gut, dass es jetzt wieder die Möglichkeit gibt, Gastronomie zu leben und zu genießen.
Peu à peu wird hoffentlich auch in allen anderen Bereichen wieder Normalität (auch wenn es „nur“ die „neue Normalität“ ist) einkehren, bald werden wir zum Beispiel vor dem Restaurantbesuch auch wieder ein Kabarett besuchen dürfen und bald werde ich hoffentlich auch wieder manch eine(n) von Euch von A nach B fliegen dürfen.
I can’t wait.
Hilfreich8Gefällt mir7Kommentieren
Danke, lieber hautschi!