Ich bin in Hall in Tirol und suche ein gutes Lokal für das Abendessen. Kein Problem, denke ich mir, rete.at hat bestimmt einen guten Tipp für mich. Also, Postleitzahl eingeben, Umkreis 5 km und los. Das Ergebnis ist mager: eine wenig verlockende Bewertung für ein Gasthaus Badl, eine für das Espre...Mehr anzeigenIch bin in Hall in Tirol und suche ein gutes Lokal für das Abendessen. Kein Problem, denke ich mir, rete.at hat bestimmt einen guten Tipp für mich. Also, Postleitzahl eingeben, Umkreis 5 km und los. Das Ergebnis ist mager: eine wenig verlockende Bewertung für ein Gasthaus Badl, eine für das Espresso im Interspar und eine für den Reschenhof in Mils, das war’s. In Tirol gibt es also noch einiges zu tun für die Testerinnen und Tester!
Die Reschenhof-Bewertung sagt mir, dass man dort sehr gut isst. Außerdem stammt sie von einer Quelle, der ich vorbehaltlos vertraue, nämlich von mir. Aber meiner eigenen Empfehlung zu folgen ist mir doch zu wenig spannend, mir steht der Sinn nach Neuem. Ich suche also auf die altmodische Art nach einem guten Lokal, mit einem ausgiebigen Spaziergang durch die mittelalterlichen Gassen dieser schönen Stadt. Mein Weg führt mich schließlich in den traditionsreichen Gasthof Goldener Engl (ohne „e“), der seit Jahrhunderten die Bürger der Stadt verköstigt und auch als 4-Stern-Schlosshotel fungiert. Ein denkmalgeschütztes Ensemble, integriert in die historische Stadtmauer.
Das gotische Gewölbe im Untergeschoß ist schon für sich einen Besuch wert, an diesem heißen Sommertag setze ich mich aber doch in den Garten vor der Tür, kopfsteingepflastert, gemütlich, aber ob des starken Autoverkehrs etwas laut.
Der Kellner lässt recht lange auf sich warten, als er dann auftaucht, bestelle ich erstmal ein Bier und die Karte. Das Bier ist vom Augustinerbräu aus München, sehr hell, eher leicht, mit recht viel (zu viel) Kohlensäure gezapft.
Die Karte bietet tirolerisch-österreichisches. Brennsuppe (nein!), Graukassuppe (na ja vielleicht), Griesnockerlsuppe.. die nehme ich.
Bei den Hauptspeisen lacht mich sogleich der Tafelspitz an, aber die dazu offerierten Beilagen (Erdäpfelpuree und Apfelrotkraut) überzeugen mich, mit dem Tafelspitzessen doch lieber zu warten, bis ich wieder in Wien bin. Dann lachen da noch ein „Steirisches Backhenderl mit Erdäpfel-Vogerlsalat“ (Steirisch? Das Hendl, oder vielleicht doch das Kernöl am Salat?), ein „Pfifferling-Rostbraten“ (Heißen die Eierschwammerln in Tirol so?) und schließlich die „Tiroler Kalbsleber mit Butterreis“. Ich bin in Tirol, also macht die Leber das Rennen.
Der Kellner lässt wieder sehr, sehr lange auf sich warten. Schließlich kommt die Suppe. Eine herzhafte, kräftige Rindsuppe, vorbildlich flaumige Griesnockerln. Ausgezeichnet, aber leider ein wenig lau, wird wohl eher am Kellner als an der Küche gelegen haben.
Dann wird das Service plötzlich flott, ein zweiter Kellner tritt auf und auch der erste bewegt sich plötzlich doppelt so schnell wie zuvor. Ob der zweite wohl der Chef vom ersten ist?
Die Hauptspeise folgt der Suppe auf dem Fuße. Drei mächtige, an die 3 cm dick geschnittene Scheiben von der Kalbsleber, innen noch rosa, wunderbar zart, zergehen fast auf der Zunge. Himmlisch. Leider ist die Leber mit Unmengen von Soße übergossen, einer Art Gulaschsaft, dick, sämig, sehr kräftig, mit roten Zwiebeln und Speckwürfeln zubereitet. Viel zu geschmacksintensiv für die Kalbsleber, die Soße nimmt dem Gericht die Finesse. Am Reis vermisse ich die Butter, es ist ein einfacher, körniger Basmatireis. Angesichts der ohnehin viel zu fetten Soße ist das aber wohl auch besser für den Magen.
Den Abschluss macht ein kräftiger Espresso mit viel Crema. Dass Kellner Nr. 1 keinen Zucker dazu bringt, macht mir nichts, ich trinke ihn ohnehin lieber pur.
Die Rechnung beläuft sich mit 2 Krügerln auf € 27,- und entspricht somit dem gewohnten Tiroler Preisniveau.
Fazit: Interessantes Lokal, Küche mit guten Ansätzen aber mit Verbesserungspotential, dasselbe gilt für das Service.
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Sehr schöne Bewertung! Tafelspitz mit den Beilagen hab ich noch nie so gelesen (ist das in Tirol so üblich?). Ich kann dich aber voll verstehen, lieber auf den Wiener Tafelspitz zu warten ;-)